Ankunft und Besiedlung in Bessarabien

Unter vielen Mühsalen und Beschwerden, Leiden und Entbehrungen gelangten unsere Auswanderer im Spätherbst 1815 in Bessarabien an. Eine ungeheure Fläsche bot sich ihren Blicken, ohne Grenzen nach allen Seiten; kein Haus, kein Turm, kein Baum bot dem Auge einen Anhaltspunkt; nur einzelne, künstliche, kegelförmige Hügel verloren sich da und dort in der weiten Steppe. Aber welche Enttäuschung! Es waren nur für 100 Familien etwa 50 Häuschen fertig gestellt; die anderen Siedlerfamilien wurden daher in verschiedenen moldauischen Dörfern untergebracht. Das Zusammenwohnen mit den Eingeborenen hat gewiß mancherlei Unzuträglichkeiten gebracht; zudem kehrte in manches Haus Krankheit und Tod ein. Dem Ziele so nahe, und nun noch das monatelange Warten, bis man seine eigene Scholle bekam und darauf seine Hütte bauen konnte. Eine Geduldsprobe!
Mit dem Eintritt des Frühjahres 1816 beginnt der Häuserbau, zu dem die Krone das Holz liefert. Der Plan ist für alle gleich: 4 Eckpfosten in die Erde gelassen, ein Flechtwerk dazwischen, mit Lehm bekleidet, Rundbalken darüber und Sparren aus Rundholz daraufgesetzt, endlich das Dach aus Rohr, Stroh oder Gras – und der Rohbau ist fertig. Fenster und Türen kommen verspätet an, alle Öffnungen müssen daher verhängt werden. Die Familie zieht ein und ist nun „unter Dach und Fach.“ Die Straßenzäune fehlen noch; auf den Höfen, Straßen und Plätzen wogt noch hohes Steppengras; weder ein Obst-, noch ein Blumengarten ist zu sehen. Das ist das Bild der jungen Kolonie.

 


Noch lange, nachdem sie schon ihre Dörfer in den in die Steppe eingeschnittenen Täler gebaut hatten, fürchteten die deutschen Bauern sich in diesen ungeheuren Weiten zu verlieren und stellten, auf ihren Feldern angekommen, die Wagen sofort mit der Deichsel nach dem Dorf herum, von dem sie gekommen, um die Heimrichtung nicht zu verlieren.
In den ersten Jahren bewohnten die Kolonisten meistenteils primitive Erdhütten, dann folgten die "Kronshäuschen diese Bezeichnung deutete auf das der Krone gehörende Land hin.
Zur Zeit der Ansiedlung war die Steppe von allerhand nützlichem und schädlichem Getier belebt. In Menge fanden sich Schlangen, Eidechsen, Zieselmäuse, Fledermäuse, Hamster, Kraniche, Trappen, Rebhühner, Wachteln u.a.. Im hohen Grase stieß man nach 10 Schritt auf ein Vogelnest. Die Vogeleier bildeten bei der Armut der Leute ein billiges Nahrungsmittel. „Macht euch die Erde untertan!“ Vom Acker sollten sich die Kolonisten nähren; aber der Acker will bebaut werden. Hier muß wieder die Krone helfen und unterstützend beispringen. Sie liefert Saatgut und Ackergeräte und verteilt auf je 2 Wirte ein Paar Ochsen und wo nötig einen Wagen. Es ist eine schwere Arbeit den Urboden, der noch keinen Pflug gesehen hat, aufzureißen. Aber man bringt doch etwas in die Erde und kann mit der Hoffnung leben, im nächsten Jahr sein eigenes Brot zu haben. Bis dahin muß man auf die Hilfe der Regierung hoffen und damit zufrieden sein, wie und wann sie des Leibes Notdurft stillt. Häufig kommt das Mehl mit Verspätung an, dazu vom Regen durchnäßt und zu so harten Klumpen zusammengeballt, daß man es mit dem Beil zerkleinern muß, um Brot daraus backen zu können. Was wir heute gewissen Haustieren zum Futter reichen, war damals ein vielbegehrter Bissen. Das erste Osterbrot (1816) war aus Roggenkleie gebacken.
Eine aus so verschiedenen Elementen zusammengesetzte Gemeinde zu leiten, Ordnung und Einigkeit zu schaffen und die Masse für die von der Regierung ihr gestellten Aufgaben zu erziehen, das war gewiß keine leichte Arbeit. Zwar waren alle eines Stammes und Blutes, mit ganz geringen Ausnahmen auch eines Glaubens, aber aus verschiedenen Ländern stammend, unterschieden sie sich in vielfacher Beziehung: in Mundart, Lebensgewohnheit, Sitten und Gebräuchen und anderen Dingen. Ein großer Teil von ihnen war fast ohne Unterricht aufgewachsen, andere an keine Ordnung gewöhnt, wieder andere arbeitsscheu und dem Trunke ergeben. Nur durch unablässige Belehrung, Mahnung, Zucht und Strafe konnten sie nach und nach gehoben und zur Erfüllung jener Kulturaufgaben erzogen werden“.